Regiosaatgut ist Saatgut aus heimischen Wildpflanzen, die aus einer bestimmten festgelegten geographischen Region kommen. Das heißt, dass das Saatgut in der Region gewonnen und geerntet werden muss, in der es später ausgesät wird. Deutschland wurde mithilfe von klimatischen und übergeordneten naturräumlichen Einheiten in 22 Ursprungsgebiete (UG) unterteilt. Der Landkreis Ravensburg liegt im Ursprungsgebiet 17 „Südliches Alpenvorland“. Für das UG 17 gibt es bisher noch keine vollständigen Regio-Saatgutmischungen für die verschiedenen Offenland-Standorte. Dies ist jedoch dringend notwendig, da seit 01.03.2020 nur noch gebietseigenes Saatgut ausgebracht werden darf (BNatSchG § 40). Aufgrund der unzureichend entwickelten Regiosaatgutproduktion in einigen Ursprungsgebieten gilt nun eine Übergangsfrist bis zum 01.03.2024 (ErMiV § 4). Diese erlaubt, dass auch Arten der benachbarten Ursprungsgebiete in eine Mischung mit aufgenommen und in den Verkehr gebracht werden dürfen. Allerdings muss die Ausbringung solchen Saatguts von der Naturschutzbehörde genehmigt werden.
Bislang gibt es im Landkreis Ravensburg und Umgebung kaum Betriebe, die regionales Wiesensaatgut vermehren. Aufgrund der Gesetzeslage und für den Erhalt der biologischen Vielfalt ist schnelles Handeln angesagt, um den Bedarf an autochthonem Saatgut im UG 17 langfristig zu decken.
Gemeinsam mit den betroffenen Landkreisen des Ursprungsgebietes „Südliches Alpenvorland“ (UG 17) möchte der LEV Ravensburg deshalb eine Initiative zur Produktion von gebietsheimischem Regiosaatgut anstoßen. Zudem sollen zukünftig 10 ha Fläche pro Jahr mit eigens gewonnenem Regiosaatgut oder durch Mahdgutübertragungen im Landkreis Ravensburg aufgewertet werden.
Die Regiosaatgut-Initiative startet mit einer Auftaktveranstaltung im Juni 2022. Die Veranstaltung soll auf die bestehende Problematik einer mangelnden Verfügbarkeit von Regiosaatgut für das UG 17 aufmerksam machen. Das Ziel ist es, zukünftige Vermehrungsbetriebe anzusprechen und zu finden. Um den Einstieg in den Anbau von Wildkräutern zu erleichtern, bietet der LEV an, die Wildsammlung des Ausgangsmaterials für die Generation F0 zu übernehmen oder an Dritte zu vergeben. Selbstverständlich können bei der Wildsammlung künftige Vermehrungsbetriebe teilnehmen, um so ihre Artenkenntnis zu vertiefen.
Die Saatgutgewinnung für die Einsaat degradierter Flächen erfolgt über ein Wiesensamensammelgerät (z.B. eBeetle), dass die Samen der einzelnen Pflanzen ausbürstet. Der Vorteil der Maschine ist, dass durch diese Technik der beerntete Bestand stehen bleibt. Somit lassen sich Wiesen mehrfach im Jahr bearbeiten, wodurch unterschiedliche Saatreifephasen berücksichtigt werden können. Die Folge ist die Gewinnung von Saatgut eines breiteren Artenspektrums. Hinzu kommt, dass bei dem Ausbürstverfahren keine Ertragsverluste für die Futtergewinnung entstehen.
Da der Landkreis Ravensburg eine besondere Verantwortung für den Erhalt und die Entwicklung des Lebensraumtyps 6410 (Pfeifengraswiesen) hat, auch im Hinblick auf ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland aufgrund von Flächenverlusten bzw. Verschlechterung des Erhaltungszustandes der FFH-Lebensraumtypen ist eine Aufwertung bzw. Entwicklung dieser elementar. Die Gewinnung und Ausbringung von regionalem Saatgut ist für die Entwicklung der Pfeifengraswiesen sowie der FFH-Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) von entscheidender Bedeutung.